Bahnbrechende Entdeckungen auf dem Gebiet funktionaler
Grenzflächen in Oxiden
Die Preisträgerinnen und Preisträger 2008 im Gottfried Wilhelm
Leibniz-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) stehen fest: Zu den
zehn Wissenschaftlern, die der zuständige Bewilligungsausschuss der DFG
heute für die Auszeichnung mit dem höchstdotierten deutschen
Förderpreis bestimmt hat, zählt der Augsburger Physiker Prof. Dr.
Jochen Mannhart (47). Die mit dem Preis verbundenen Fördermittel in
Höhe von 2,5 Millionen Euro kann Mannhart im Laufe der kommenden sieben
Jahre flexibel für seine Forschungsarbeiten einsetzen. Mannhart ist seit
1996 Inhaber des Lehrstuhls für Experimentalphysik VI im Center for
Electronic Correlations and Magnetism des Institut für Physik der
Universität Augsburg. Insbesondere mehrere bahnbrechende Endeckungen auf
dem Gebiet funktionaler Grenzflächen in Oxiden haben Mannhart zu einem seit
Jahren international renommierten Experimentalphysiker gemacht.
Angesehenste Auszeichnung für Forscher in Deutschland
Neben der Strukturbiologin Dr. Elena Conti vom MPI für Biochemie,
Martinsried, ist der Augsburger Physiker in diesem Jahr der einzige
Leibniz-Preisträger einer bayerischen Universität, der vom
Nominierungsausschuss aus insgesamt 158 Vorschlägen ausgewählt wurde.
Die drei Preisträgerinnen und acht Preisträger "stehen für das
hervorragende Niveau und die fachliche Breite der Spitzenforschung in
Deutschland", sagte DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner
anlässlich der heutigen Entscheidungen. Er verwies darauf, dass der seit
1986 vergebene Leibniz-Preis längst nicht nur die angesehenste Auszeichnung
für Forscherinnen und Forscher in Deutschland ist. "Sechs der
Ausgezeichneten haben nach dem Leibniz-Preis auch den Nobelpreis erhalten,
darunter die Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard und der
diesjährige Chemie-Nobelpreisträger Gerhard Ertl", sagte Kleiner. "Der
Leibniz-Preis ist damit weltweit ein Gradmesser für allerhöchste
wissenschaftliche Qualität."
International renommierter Experimentalphysiker mit bahnbrechenden
Entdeckungen
"Dem international renommierten Experimentalphysiker Jochen Mannhart", so
begründet die DFG seine Auszeichnung, "sind bereits mehrfach bahnbrechende
Entdeckungen auf dem Gebiet funktionaler Grenzflächen in Oxiden gelungen.
Verdient machte sich Mannhart unter anderem um die Optimierung von Korngrenzen
in Hochtemperatursupraleitern. Ebenso konnte er rein oxidische
Feldeffekt-Transistoren konstruieren, mit denen sich die
Ladungsträgerdichte von Grenzschichten besonders wirkungsvoll steuern
lassen. Nicht zuletzt hat Mannhart mit seiner Arbeitsgruppe ein besonders
kraftempfindliches Tieftemperatur-Rastersondenmikroskop entwickelt, das eine
Rekordauflösung von 77 pm erreicht und erstmals einzelne Atome mit
subatomarer Auflösung darstellbar machte. Für die Beantwortung
grundlegender Fragen zur Rolle der Elektronensysteme in Festkörpern sind
Mannharts Arbeiten ebenso wegweisend wie für die Entwicklung der
zukünftigen Elektronik, Optoelektronik und Spintronik.
Zum Arbeitsgebiet von Professor Mannhart
Komplexe Materialien mit neuartigen elektronischen Eigenschaften stehen im
Brennpunkt der aktuellen Festkörperphysik. Zum einen werfen sie
grundlegende Fragen zum Verständnis der Elektronensysteme in
Festkörpern auf, zum anderen sind sie von zentraler Bedeutung für die
zukünftige Elektronik, für die Optoelektronik und für die
Spintronik. In vielen Fällen wird das Verhalten der Elektronensysteme durch
Grenzflächen kontrolliert. Grenzflächen nehmen daher eine
Schlüsselrolle in der Erforschung und Anwendungsentwicklung korrelierter
Materialien ein.
Grenzflächen in Oxiden mit korrelierten Elektronen führen in der Regel
zu drastischen Änderungen im Elektronensystem auf Nanometerskala, bei denen
sogar neue elektronische Phasen entstehen können. Grenzflächen in
korrelierten Oxiden sind daher wesentlich komplexer als Grenzflächen in
konventionellen Metallen oder Halbleitern, zugleich eröffnen sie jedoch
auch völlig neue Perspektiven für Anwendungen.
Für die wegweisenden Beiträge, die Mannhart zum Problem der
Korngrenzen in Hochtemperatur-Supraleitern geleistet hat, und speziell für
die Fortschritte bei der Kontrolle der physikalischen Transportvorgänge in
diesen Materialien, die er über Kornausrichtung und Feldeffekt sowie
über die Veränderungen der Elektronendichte (Doping) erzielt hat, ist
Mannhart bereits im vergangenen Jahr zum fellow der American Physical Society
(APS) ernennt worden.
Den elektrischen Feldeffekt in Hochtemperatur-Supraleitern entdeckt
Feldeffekttransistoren bieten die einzigartige Möglichkeit, die
Ladungsträgerdichte von Grenzschichten in situ, reversibel, und ohne
strukturelle Effekte zu ändern. Daher wird seit langem versucht,
Feldeffekt-Transistoren zu konstruieren, deren Drain-Source Kanäle aus
beliebigen Materialien bestehen. Mannharts Arbeitsgruppe ist es gelungen,
erstmals rein oxidische Feldeffekt-Transistoren herzustellen und mit diesen den
elektrischen Feldeffekt in den Hochtemperatur-Supraleitern zu entdecken.
Mittlerweile kann man in supraleitenden Feldeffekt-Transistoren mittels
Gate-Spannungen die kritische Temperatur von Grenzflächen in Supraleitern
um bis zu 30 K modulieren. Diese Feldeffekte wurden weltweit von zahlreichen
Gruppen reproduziert. Außerdem wurden die grundlegende Idee und die
Probengeometrie auf ein breites Spektrum anderer Materialien übertragen.
Mit der Bikristall-Technologie den Schlüssel zur Untersuchung und
Nutzung der Korngrenzen gefunden
Die Optimierung der physikalischen Eigenschaften von Korngrenzen in
Hochtemperatur-Supraleitern ist sowohl für die Grundlagenforschung wie auch
für technische Anwendungen von größter Bedeutung. Die
Optimierung der Korngrenzen ist u. a. für den verlustarmen Energietransport
in supraleitenden Kabeln unverzichtbar. Mit der Erfindung und Entwicklung der
Bikristall-Technologie ist es Mannhart gelungen, den Schlüssel zur
Untersuchung und Nutzung der Korngrenzen zu finden. Die Untersuchungen der
Korngrenzeneigenschaften mit Bikristallen führten ihn und seine
Arbeitsgruppen zur Entdeckung der drei grundlegenden Techniken, mit denen
Hoch-Tc-Kabel optimiert werden können: zum einen die Ausrichtung der
supraleitenden Körner entlang aller Achsen, zum zweiten
Vergrößerung des Aspektverhältnisses der Körner und zum
dritten die selektive Dotierung der Korngrenzen. Die Ausrichtung der Körner
bildet die Grundlage der Hoch-Tc Bandsupraleiter, die derzeit weltweit mit einem
Aufwand von mehr als 70 Millionen Dollar pro Jahr Jahr erfolgreich entwickelt
werden.
Erstmalige Abbildung einzelner Atome mit subatomarer Auflösung
In parallelen Arbeiten entwickelt die Arbeitsgruppe Mannharts
Tieftemperatur-Rastersondenmikroskope mit höchster Auflösung zur
Klärung grundlegender Fragen der Physik komplexer Materialien. Dabei wurden
bereits Mikroskope gebaut, die eine Rekord-Ortsauflösung von 77 pm
erreichen und so zum ersten Mal einzelne Atome mit subatomarer Auflösung
abbilden konnten. Ihre außerordentliche Kraftempfindlichkeit gestattet es
zudem, die Reibungskräfte an einzelnen Atome zu messen und dadurch die
mikroskopische Grundlage der Reibung zu identifizieren. Diese
Rastersondenmikroskopie-Techniken sollen in der Zukunft zur Analyse funktionaler
Grenzflächen mit atomarer Auflösung eingesetzt werden.
Zur Person: Prof. Dr. Jochen D. Mannhart
1960 in Metzingen geboren, studierte Mannhart an der
Eberhard-Karls-Universität Tübingen Physik. Bereits ein Jahr nach dem
Diplom (1986) promovierte er ebenfalls am Tübinger Institut für
Physik, wo er 1994 dann auch habilitiert wurde.
Unterbrochen von einem dreisemestrigen Forschungsaufenthalt als
Gastwissenschaftler am IBM T. J. Watson Research Center, Yorktown Heights, USA,
in den Jahren 1987/88, forschte Mannhart von 1986 bis 1989 am Insitut für
Physik der Universität Tübingen. Von 1989 bis 1996 war er dann
Research Staff Member im Physik-Department des IBM Zurich Research Laboratory,
Rüschlikon, Switzerland, ab 1992 war er dort First Line Manager der
Arbeitsgruppe "Novel Materials and Heterostructures". 1996 folgte er einem Ruf
auf den auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik VI - einen von drei
Lehrstühlen, die im Rahmen der Errichtung des Zentrums für
Elektronische Korrelationen und Magnetismus neu am Institut für Physik der
Universität Augsburg geschaffen wurden. Rufe an die Universität Genf
sowie an die ETH Zürich hat Mannhart, der zwischenzeitlich auch
Gastwissenschaftler an der Stanford University war, im vorigen und in diesem
Jahr abgelehnt.
Zu den Auszeichnungen und Ehrungen, die der neue Augsburger
Leibniz-Preisträger bislang erfahren hat zählen u. a. der
Dr.-F.-Förster-Preis of the University of Tübingen (für seine
Dissertation) sowie in den Jahren 1990 und 1992 jeweils ein Outstanding
Technical Achievement Award von IBM - der erste für "Studies of Electrical
Properties of Grain Boundaries in High-Tc Superconductors", der zweite für
"'Pioneering Work on the Field Effect in High-Tc Superconductors'. 2004 wurde
Mannhart vom Insitute of Physics (IoP), 2006 von der American Physical Society
(APS) zum Fellow ernannt.
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Foto zu dieser Pressemitteilung:
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Kontakt:
Prof. Dr. Jochen Mannhart
Lehrstuhl für Experimentalphysik VI/EKM
Institut für Physik der Universität Augsburg
D-86135 Augsburg
Telefon +49(0)821-598-3650
jochen.mannhart@physik.uni-augsburg.de
http://www.physik.uni-augsburg.de/exp6/index/index_d.shtml
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Pressemitteilung der DFG zum Leibniz-Preis 2008
http://idw-online.de/pages/de/news239179
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Weitere Informationen zu Forschungserfolgen am Lehrstuhl Mannhart:
http://idw-online.de/pages/de/news227452
http://idw-online.de/pages/de/news220898
http://idw-online.de/pages/de/news173391
http://idw-online.de/pages/de/news140036
http://idw-online.de/pages/de/news81543
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